Zu viele Klamotten

Marcel Niemeier • 17. August 2025

Wir kaufen Klamotten, die wir nicht tragen.


Mehr besitzen als wir brauchen

Neulich stieß ich auf einen Instagram-Post, in dem stand, dass wir mit der Menge an Kleidung, die aktuell weltweit existiert, die nächsten sechs Generationen einkleiden könnten. Sechs Generationen! Lass dir das kurz auf der Zunge zergehen. Deine Kinder. Deine Enkel. Deren Kinder. Und nochmal drei Generationen obendrauf. Und all diese Menschen könnten mit dem versorgt werden, was jetzt schon existiert.
Warum tun wir das? Warum produzieren wir so viel Kleidung, die niemand wirklich nutzt? Wozu all diese Stoffe, Reißverschlüsse, Knöpfe wenn sie am Ende doch nur in Schubladen verschwinden? Weil Kleidung viel mehr ist als nur Stoff. Weil sie Identität verspricht. Weil sie uns das Gefühl gibt, wir könnten jemand Bestimmtes sein. Und klar: Kleidung kann Freude machen. Für viele Menschen ist Fashion pure Kreativität. Ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Und das ist wunderschön. 
Dennoch: In den letzten vier Jahren durfte ich zahlreiche Menschen dabei begleiten, ihre Räume und ihr Zuhause leichter zu machen. Und weißt du, was ich dort immer und immer wieder gesehen habe? Berge. Von. Kleidung. Vollgestopfte Kommoden. Bügel, die sich unter der Last biegen. Und vor allem so viele Teile, die kaum oder nie getragen wurden. Zudem höre ich die gleiche Frage immer und immer wieder: „Ich weiß nicht mehr, warum ich das gekauft habe“

Dein Kleiderschrank sollte kein Lagerraum sein. Sondern ein Ort, an dem du dich jeden Morgen willkommen fühlst. Und sind wir ehrlich: Die Stücke, die du am meisten liebst, liegen sowieso immer oben auf dem Stapel. Die anderen, ungeliebten Stücke, die irgendwie nicht passen, sich doof anfühlen oder einfach nicht deins sind, verstecken sich ganz unten. Und die Jeans, die zwickt (du weißt genau, welche ich meine) wartet seit zwei Jahren auf “den richtigen Moment”. Also, wie viele Jeans brauchst du wirklich? 5? 10? Oder doch eher 20? Vielleicht ist heute ein guter Moment, um dich nicht zu fragen was du besitzt, sondern was du tatsächlich anziehst.

Denk minimalistischer

Trage und kaufe nur das, was dir wirklich gefällt und was dir wirklich passt. Ein guter Test dafür ist ganz einfach: Hast du Lust, das neue Teil direkt nach dem Kauf anzuziehen (Waschgang mal außen vor gelassen)? Dann war es wahrscheinlich ein guter Kauf. Falls nicht: Warum hast du es überhaupt gekauft? Löse dich von kurzfristigen Trends und stelle dir die wirklich wichtigen Fragen:
  • Wer bin ich?
  • Wie möchte ich mich in meiner Kleidung fühlen?
  • Fühle ich mich authentisch und wohl, wenn ich es trage?
Dein Stil darf sich natürlich immer verändern, aber er sollte immer von dir kommen, nicht von außen. Und ja: In Zeiten von Fast Fashion ist es wichtig, genau hinzuschauen. Nachhaltige Kleidung zu finden klingt in der Theorie einfach, in der Realität kann es sich aber wie ein Dschungel anfühlen. Glaub mir: Auch ich bin schon in hübsch verpackte Marketingversprechen reingetappt und habe viel Geld für ziemlichen Scheiß ausgegeben.
Ein kleiner Trick jedoch hilft vielen meiner Kunden und Kundinnen dabei, den eigenen Konsum ganz ehrlich zu beobachten: Drehe den Kleiderbügel jedes Mal um (also „von hinten“ einhängen) , wenn du ein Teil getragen, gewaschen und wieder zurück in den Schrank gehängt hast. Nach ein paar Wochen siehst du auf einen Blick, bei welchen Kleidungsstücken der Haken noch in die alte, „vordere“ Richtung zeigt und welche also ohne jeden Einsatz in deinem Schrank hängen.

Stell dir am Ende einfach einen Kleiderschrank vor, in dem sich nur Sachen befinden, die du gerne magst und dir ein richtig gutes Tragegefühl geben. Mehr nicht. Wäre so ein Kleiderschrank nicht fantastisch? Minimalismus nimmt dir nichts. Er schenkt dir nur Klarheit. Darum stell dir einmal ganz bewusst diese Fragen:

  • Wie viel Lebenszeit möchtest du wirklich mit Suchen, Bestellen, Anprobieren, Retournieren verbringen?
  • Und wie viele wunderschöne Erinnerungen (Reisen, Erlebnisse, echte Momente) könntest du stattdessen sammeln, wenn du dieses Geld anders einsetzt?

Ich bin der Mann in Schwarz

Wer mich kennt, weiß: Ich trage seit Jahren fast ausschließlich Schwarz. Schlicht, ohne Logos, ohne Schnickschnack. Dazu weiße Socken und weiße Sneaker. Also Schwarz-Schwarz-Weiß, mein kleiner Kleider-Code,  mehr braucht es nicht. Doch Warum? Weil es für mich funktioniert. Ein schwarzes Outfit passt sowohl in meinen Alltag als auch ins Büro. Es ist klar, reduziert und vor allem fühle ich mich darin richtig wohl. Ich liebe diesen starken Kontrast. Aber noch viel wichtiger ist, dass mich diese Sache kognitiv entlastet. 
Ich muss dazu sagen, Mode war für mich noch nie ein großes Ding. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Freude daran haben, nach neuen Teilen zu suchen oder Outfits zu kombinieren – ganz im Gegenteil. Mit knapp 1,93 m Körpergröße und Schuhgröße 47/48 finde ich ohnehin vieles nur noch online. Und diese ständigen Fragen "Passt das farblich? Ist das noch „in“? Kann ich die Jeans mit diesem Pulli kombinieren?" hat mich irgendwann einfach nur noch genervt. Heute muss ich mir morgens keine einzige dieser Fragen mehr stellen. Und das ist pure Freiheit.

Natürlich hatte ich anfangs auch diese gesellschaftliche Stimme im Kopf: „Was, wenn meine Kollegen und Kolleginnen bemerken, dass ich immer das Gleiche trage? Finden die das seltsam?“ Klar bemerken sie es. Und ehrlich? Ja, ein paar haben gefragt. Aber: Stinke ich? Sehe ich ungepflegt aus? Ist meine Kleidung abgetragen? Nein. Also, wo ist das Problem? (Und falls du dich das auch gerade fragst: wahrscheinlich existiert das Problem nur in deinem Kopf.)
Natürlich hängt vieles vom Job und der dortigen Kleiderordnung ab. Aber wenn du die Freiheit hast, zu tragen, was du möchtest: Nutze sie.

Meine Garderobe (Alltag, ohne Sport- und Wanderzeug) heute:
  • 8 schlichte schwarze T-Shirts
  • 2 schwarze Hoodies
  • 2 schwarze Pullover
  • 2 schwarze Fleece-Pullis
  • 2 schwarze Hemden
  • 2 schwarze Jeans (die ich immer durchwechsle)
  • 1 Gürtel (seit ca. 10 Jahren im Einsatz)
  • ausreichend schwarze Unterhosen (immer das gleiche Modell)
  • weiße + schwarze Socken (genug, aber nicht zu viele)
  • 2 Paar Schuhe (weiße vegane Sneaker) + 1 Paar Barfußschuhe
  • 1 Winterjacke (übrigens nicht schwarz 😉)
  • 1 schwarze Übergangsjacke (nutze ich auch für Outdoor-Aktivitäten)
  • 2–3 schwarze Sonnenbrillen
  • kein Schmuck, keine Uhr
Minimalismus bedeutet für mich nicht, wenig zu besitzen, sondern nur das zu besitzen, was mir wirklich dient.

Kleidung ausmisten, beginne jetzt!

Je mehr Kleidung weltweit existiert, desto schwerer wird das Loslassen. Altkleidercontainer sind überfüllt. Viele soziale Einrichtungen nehmen nichts mehr an. Online-Plattformen wie Vinted oder Kleinanzeigen platzen aus allen Nähten. Gerade deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, bei dir selbst anzufangen. Mein Tipp: Gehe Stück für Stück durch alle Kategorien, wirklich jedes einzelne Teil. Nimm es in die Hand und spüre kurz hinein:

➡️ Passt es dir?
➡️ Fühlst du dich wohl, wenn du es trägst?
➡️ Verbindest du etwas Positives damit?

Wenn nicht: Lass es gehen (und nein, auch das 25. „kann-ich-zum-Schlafen-anziehen“-Shirt wirst du nicht brauchen). Wenn du es aber wirklich liebst, behalte es. Ganz einfach. 
Du musst nicht den kompletten Kleiderschrank an einem Tag machen. Starte klein: Heute nur die Socken. Schluss. Morgen die T-Shirts. Schluss. Nächste Woche nur die Jacken. Mehr nicht. So bleibst du motiviert, statt dich zu überfordern. 
Und noch etwas Wichtiges zum Schluss: Kleidung ist für viele Menschen stark mit Emotionen verknüpft. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Hochzeitskleid, das einmal getragen wurde und 800 € gekostet hat. Natürlich steckt darin eine Erinnerung, daran gibt es keinen Zweifel. Aber sei ehrlich mit dir: Wirst du es jemals wieder tragen? Oder steht es letztlich viele Jahre im Schrank, nimmt Platz ein und am Ende müssen deine Kinder oder Verwandten entscheiden, was sie damit tun sollen? Die Erinnerung bleibt, ganz unabhängig davon, ob das Kleid noch physisch da ist oder nicht. Loslassen bedeutet nicht zu vergessen, sondern Raum für Neues zu schaffen.